Deformierte Kristalle
Vorwort
Es gab für mich zwei Gründe, eine Abhandlung über deformierte Kristalle zu erarbeiten:
Einmal eine spannende Forumsdiskussion zum Thema "Gebogene Kristalle" im Fabre-Mineralogieforum (Fabre Minerals, Barcelona, Spanien; FFM), begonnen und moderiert von John S. White (ehemaliger Kurator des Smithsonian in Washington, USA), diskutiert und mit vielen Hypothesen versehen von Sammlern, Chemikern und Kuratoren mineralogischer Sammlungen - jedoch nicht zufriedenstellend beendet, da über die Bildungsmechanismen deformierter Kristalle Uneinigkeit besteht und eine gewisse Aura des Mysteriösen herrscht.
Der andere Grund, sich mit der Materie der deformierten Kristalle zu beschäftigen, ist das Unwissen und die Spekulationen zu gebogenen, kurvigen, abgeknickten und ringförmigen Kristallen, was soweit führt, dass es nicht wenige Sammler gibt, welche ernsthaft glauben, dass gebogene und abgeknickte Stibnite aus China künstlich hergestellt werden, da diese Kristalle höhere Preise als normal gewachsene Kristalle erzielen.
Diese Arbeit befasst sich einmal mit den kristallographisch-materialwissenschaftlichen Fakten wie Defekten, Versetzungen und Verformungen; desweiteren mit Deformationen, welche aufgrund mechanischer Beanspruchung entstanden sind und deren (Aus)heilung.
Nicht berücksichtigt sind weder wachstumsgestörte oder verzerrte Kristalle und Fadenquarze, Whiskers, Hoppers, Skelette, Dendriten noch Locken oder filiforme Aggregate.
Eine Abhandlung über deformierte Kristalle kann nicht allein in der Sprache der Mineralogie oder der Kristallographie erfolgen, sondern sollte interdisziplinär erarbeitet werden. Aufgrund von teilweise sehr großen Ähnlichkeiten bis hin zu identischen Vorgängen vor, während und nach der Deformation sind deshalb in diese Arbeit Fakten aus der Strukturgeologie, der Materialwissenschaft, der Mathematik, der Mechanik und selbst der Medizin eingeflossen.
Diese Arbeit erhebt keinerlei Anspruch auf wissenschaftliche Gültigkeit, sondern soll in verständlicher Weise zum aktuellen Wissensstand zum Thema "Deformierte Kristalle" beitragen.
Peter Seroka
Unvollkommene Kristalle
"Die meisten nicht-lebenden Stoffe, z.B. Metalle, Marmor, Granit usw., sind Aggregate von „Kristallen“, die man ebenfalls als Individuen auffasst, obschon sie sich spalten oder durch Druck verschweißen lassen. Sie gelten deshalb als Aggregate noch kleinerer Einheiten der Atome und Moleküle, die nach den Ergebnissen chemischer und physikalischer Forschung selbst wieder einen komplizierten Aufbau (aus elektrischen Teilchen, Elektronen und Ionen) besitzen. Wenn man dennoch von „Kristallindividuen“ spricht, so liegt der Grund in der Ähnlichkeit des Wachstums der Kristalle mit der von Lebewesen, wenn sie auch nur eine äußerliche ist.
Bei der Kristallisation vereinigen sich in der Regel nur gleichartige Moleküle, weshalb bei Herstellung chemischer Präparate das Umkristallisieren eine häufig benutzte Methode der Reinigung ist. Bei amorphen glasigen oder harzigen Körpern ist dagegen Trennung durch Abkühlung oder Verdunsten nicht möglich. Während bei kristallinischer Erstarrung der Zucker sich von der Mutterlauge trennt, bleiben bei amorpher Erstarrung Zucker- und Wassermoleküle gemischt. Man kann deshalb sagen, ein Kristall sei ein Aggregat gleichartiger Teilchen und da diese gleichartige Kräfte aufeinander ausüben, ist ein Kristall nicht nur chemisch, sondern auch physikalisch homogen, die Teilchen sind zu einem regelmäßigen Punktsystem, einem Raumgitter vereinigt. Ein Kristallindividuum erstreckt sich soweit, als seine Struktur gleichmäßig ist.
In vollkommener Strenge ist dies freilich tatsächlich nicht der Fall. Ideale Kristalle dieser Art finden sich in der Natur nicht; jeder Kristall ist mit irgendeiner Unvollkommenheit behaftet und schon die Durchbiegung durch das eigene Gewicht bedingt eine Abweichung von der vollkommenen Raumgitterstruktur. Die bisherige Kristallographie glaubte indes von diesen Unvollkommenheiten absehen zu können und physikalische Homogenität geradezu in die Definition des Kristallzustandes aufnehmen zu müssen."
(zitiert: LEHMANN,O., 1921)
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Reale Kristalle und Defekte
Was sind Defekte?
Es gibt nirgendwo im Universum einen perfekten Kristall, denn jeder Kristall hat eine Oberfläche und für die Atome auf der Oberfläche ist die Umgebung anders als für Atome im Volumen. Die Oberfläche ist somit ein Defekt. Reale Kristalle sind damit also Kristalle, die Defekte enthalten.
Eine einfache Definition für Defekte in Kristallen ist die Betrachtung der Umgebung der Atome im Kristall. Falls die unmittelbare Umgebung - streng genommen im zeitlichen Mittel, da die Atome im Kristall wegen der Temperatur um ihre Position wackeln - um ein beliebig herausgegriffenes Atom anders ist als die Umgebung eines Referenzatom in einem perfekten Teil des Kristalls, ist ein Defekt Ursache für diese Änderung. Für ein Atom auf der Oberfläche eines Kristalls ist diese Bedingung zweifellos erfüllt, da die eine Hälfte des Raumes keine Atome des Kristalls hat. Es gibt also prinzipiell keine perfekten Kristalle.
Defekte werden in vier Klassen eingeteilt, deren Ordnungskriterium die Dimensionalität oder Ausdehnung des Defekts ist: Man unterscheidet:
Nulldimensionale Defekte ("Punktdefekte", "Punktfehler", atomare Defekte)
Symmetrieverletzung nur in Bereichen mit Ausdehnung ca. "Null", d.h. in einem Bereich mit atomaren Dimensionen, einem Gitterplatz. Die Leerstelle ist ein Beispiel für nulldimensionale Defekte: Ein Atom fehlt irgendwo im Kristall, der entsprechende Platz ist leer, im nebenstehenden Bild unten rechts zu erkennen. Eine Dotierung wird auch meistens für die Herstellung von Punktfehlern gemacht, dargestellt durch kleine, blaue Punkte. Die zugegebenen Fremdatome verteilen sich auf einzelne Positionen im Kristallgitter. In der linken Hälfte des Bildes ist die Besetzung von Zwischengitterplätzen dargestellt, oben durch ein Atom des Kristalls - intrinsischer Defekt - im unteren Bereich durch ein Fremdatom, ein extrinsischer Defekt.
Eindimensionale Defekte ("Versetzungen", "Liniendefekte", "Translationen")
Entlang einer Linie (die nicht gerade verlaufen muss, sondern willkürlich gekrümmt oder in sich geschlossen sein kann) ist die Symmetrie verletzt. Zwischen zwei Kristallebenen ist zum Beispiel eine dritte eingezwängt. Diese zusätzliche Ebene im Kristall endet entlang einer Linie; diese Linie definiert den eindimensionalen Defekt "Stufenversetzung".
Zweidimensionale Defekte ("Flächendefekte")
Auf einer Fläche (beliebig gekrümmt) ist an jedem Punkt die Symmetrie verletzt. Ein einfaches Beispiel ist die Oberfläche, ein anderes eine Zwillingsebene.
Jeder flächenhafte Defekt ist eine Grenzfläche zwischen zwei Körpern
- Phasengrenze: Grenzfläche zwischen zwei verschiedenen (im Sprachgebrauch i.d.R. festen) Körpern.
- Korngrenze: Grenzfläche zwischen identischen, aber zueinander beliebig orientierten Kristallen.
- Stapelfehler: Grenzfläche zwischen zwei identischen und sehr speziell zueinander orientierten Kristallen
Dreidimensionale Defekte ("Volumendefekte")
In einem beliebigen Volumen liegt an jedem Punkt eine andere Symmetrie vor.
- Löcher oder Hohlräume - sog. "Voids"
- Ausscheidungen, Präzipitate (engl. "precipitate") - vollständig in die Matrix eingebettete andere Phasen
Plastische Verformung von Kristallen durch Versetzungen
Die plastische Verformung aller Kristalle erfolgt ausschließlich durch die Erzeugung und Bewegung von Versetzungen.
Plastisch verformt bedeutet, dass sich ein Kristall nach entsprechender Krafteinwirkung bzw. wenn die Belastung einen kritischen Wert (die Elastizitätsgrenze) überschreitet, irreversibel verformt. Dies bedingt zwangsläufig, dass Teile eines Kristalls sich gegenüber anderen Teilen verschoben haben und einige Atome nicht mehr dort sind, wo sie früher waren. Diese bleibenden Verschiebungen der Atome werden immer durch den Durchlauf von Versetzungen durch den Kristall erzeugt.
Versetzungen ermöglichen ein Verformen von Kristallen dadurch, dass sie beweglich sind und durch den Kristall wandern können. Eine Versetzung kann nicht in der Mitte eines Kristalls aufhören.
Plastisch verformte bzw. gebogene Kristalle können durch innere "Rutschvorgänge", Gleitung(1) genannt, durch die Erzeugung und Bewegung von Versetzungen (Dislokationen) - im weitesten Sinne Spannungs-Dehnungs-Verläufe - entstehen.
Versetzungen sind die einzigen eindimensionalen oder linienhaften Defekte in Kristallen (eindimensionale Gitter- oder Linienfehler); es gibt sie aber in vielen Varianten. Sie entstehen beim Kristallwachstum (aus der Schmelze oder bei der Rekristallisation im festen Zustand) infolge von Druck-, Zug-, Scher- oder Torsionsspannungen oder bei der plastischen Verformung. (> s.u.).
Schraubenversetzung
Eine Schraubenversetzung (engl. screw dislocation) ist eine Versetzung in der Gitterstruktur eines Kristalls, in dem die Atome in einem schraubenförmigen Muster angeordnet sind, das normal zur Richtung der Spannung ist. Eine Schraubenversetzung ist ein eindimensionaler Gitterfehler.
Linienfehler werden gewöhnlich als Versetzungen oder Versetzungslinien bezeichnet. Es gibt zwei Typen: Stufenversetzungen und Schraubenversetzungen. Beide sind entscheidend für die mechanischen Eigenschaften des Kristalls und daher von großer Bedeutung in den Materialwissenschaften. Sie können aber auch „Pfade“ erhöhter Atom- oder Ionenbeweglichkeit sein und dadurch Stofftransport und Reaktivität des Kristalls beeinflussen. Zur Charakterisierung der Versetzung dient der Burgersvektor, der bei Stufenversetzung senkrecht auf der Versetzungslinie steht. Bei Schraubenversetzung liegt er parallel zur Versetzungslinie Der Burgersvektor (benannt nach Johannes Martinus Burgers) beschreibt die Richtung, in der die Versetzungsbewegung unbedingt vorkommt. Sein Betrag entspricht der Entfernung zwischen zwei benachbarten Atomen in dieser Richtung, seine Richtung wird von der Kristallstruktur des Materials diktiert.
Die Schraubenversetzung hat sogar eine grundlegende Bedeutung für das Kristallwachstum. An ihr entstehen an der Oberfläche immer wieder atomare Kristallstufen, die die Anlagerung von Kristallbausteinen fördern. Makroskopisch ist das Ergebnis in Form von Vicinalflächen sichtbar.
Versetzungen sind die für die gesamte plastische Verformung kristalliner Materialien verantwortlichen Defekte. Gäbe es keine Versetzungen in Kristallen, wären alle Kristalle spröde wie Glas! (zitiert Föll,H.)
Je nach Zug, Druck, Scherung (Scherspannung) oder Torsion (Drehspannung) werden sogenannte Gleitsysteme in Kristallen aktiviert. Bei der Biegung verschwinden die Schubspannungen. Zug oder Druck greifen allerdings nicht gleichmäßig an und bewirken eine ungleichmäßige Verformung. An einigen Stellen des Kristalls resultiert eine Zug-, an anderen eine Druckbelastung.
Versetzte Kristallbereiche erstrecken sich immer linienförmig durch den Kristall. Man unterscheidet zwischen Stufen- und Schraubenversetzungen sowie Kombinationen dieser beiden Formen.
Bei der Verformung niedrig-symmetrischer Kristalle können Zwillinge gebildet werden. Thermisch gebildete Zwillinge (sog. Rekristallisationszwillinge) entstehen bei der Rekristallisation; mechanisch gebildete Zwillinge entstehen aufgrund äußerer Belastungen.
Dieser komplexe Deformationsprozess bzw. die plastische Verformung kann sich mehrfach über die gesamte Länge eines Kristalls wiederholen, wobei der Kristall sowohl starke Anisotropie, Doppelreflektion und Reflektions-Pleochroismus entlang der Deformationszwillinge zeigt. Die Zwillinge können am unterschiedlichen Reflektionsvermögen unterschieden werden.
(1) Meyers Lexikon definiert Gleitung wie folgt:
Gleitungen sind plastische Deformationen, welche man an vielen Kristallen bei gerichteter mechanischer Schubbeanspruchung beobachten kann. Dabei werden Kristallschichten parallel zu einer Kristallgitterebene (Gleitebene) in einer festgelegten Richtung (Gleitrichtung) verschoben, ohne dass Trennungen durch Spaltbarkeit oder Bruch auftreten.
Rekristallisation deformierter Kristalle
Rekristallisation ist der Abbau von Gitterfehlern (Versetzungen) durch Neubildung des Gefüges aufgrund von Keimbildung und Kornwachstum.
Erste Phase - Erholung
Bevor ein Kristall rekristallisiert, muss er sich erholen. Unter diesem Begriff Erholung versteht man alle Vorgänge, die ohne Wanderung von Großwinkelkorngrenzen zu einer Rückbildung der durch die Verformung (oder Bestrahlung) hervorgerufenen Eigenschaftsänderungen führen. (Böhm,H., 1968)
Ein deformierter Kristall mit vielen Versetzungen (Dislokationen) hat eine hohe Energie, welche meist in Form von Verzerrungen und Gitterspannungen gespeichert ist. Diese gespeicherte innere Energie wird abgebaut durch
- Punktfehlererholung; d.h. Gruppierung der Versetzungen in einer stabileren Konfiguration
- Herauswandern und Ausheilen von Doppelleerstellen (bzw. Auslöschung von Versetzungen / extinction of dislocations)
- Wandern von Einzelleerstellen
Je höher bei Kristallen die Stapelfehlerenergie ist, desto leichter können Versetzungen in eine andere Gleitebene quergleiten. Dieser Erholungsprozess wird vor allem durch hohe Temperaturen beeinflusst, was letztlich zu einer Änderung der Versetzungsanordnung führt.
Während der Erholungsphase ändert sich das Gefüge, wobei Spannungen und Versetzungen als treibende Kräfte diese Gefügeänderungen durch Gleiten, Quergleiten und Klettern der Versetzungen bewirken.
Zweite Phase - Rekristallisation
Die Rekristallisation kann zum vollständigen Abbau der durch eine Verformung hervorgerufenen Eigenschaftsänderungen führen. Sie hat einen typischen zeitlichen Verlauf, welcher sich jedoch von dem homogen in Ort und Zeit während der Erholungsphase ablaufenden Prozess unterscheidet.
Die Rekristallisation beginnt vorzugsweise in Gebieten mit heterogener Versetzungsverteilung (Knickbänder), während in homogenen Gebieten mit gleicher Versetzungsdichte kaum etwas geschieht.
Wenn die Rekristallisation synchron mit der Deformation ist, bezeichnet man sie als dynamische oder syntektonische Rekristallisation. Ist keine Deformation vorhanden, lautet der Begriff statische Rekristallisation (bzw. je nach zeitlicher Definition prä- oder post-tektonische Rekristallisation.)
Was geschieht im Kristall ?
Rekristallisation nach aktueller Auffassung ist die Entstehung und Wanderung von Großwinkelkorngrenzen. Sie wird unterteilt in
- Primäre Rekristallisation (Voraussetzung ein kritischer Verformungsgrad; je höher dieser ist, desto niedriger ist die Temperatur, oberhalb welcher die Rekristallisation einsetzt.
- Sekundäre Rekristallisation
- Kornwachstum (Rekristallisation von neuen, nicht deformierten Körnern)
Duktile Deformation
Unter duktiler Deformation versteht man permanente, kohärente, solid-state (Festkörper)-Deformation, in welcher kein Verlust der Kohäsion im Maßstab der Kristallkörner und größer auftritt und in der keine Evidenz durch Bruch erkennbar ist. Im weiteren Sinne plastische oder kristallplastische Deformation.
Die duktile Deformation ist ein Prozess, bei dem die Verformungsrate vom Stress abhängt, dass der Prozess thermisch aktiviert wird und dass dieser Prozess bei Temperaturen abläuft, welche ungefähr gleich oder größer der halben Schmelztemperatur des Materials entsprechen.
Der Prozess der duktilen Deformation findet im festen Zustand statt ! (Twiss, R.J., Moores, E.M., 2007)
Verformungen
Eine kristallographische Erklärung der Geometrie der Verformungen stammt von J. Starkley (1968), welcher davon ausging, dass es drei Typen der Verformung gibt:
- Einfache Verformung (simple kinking)
- Verformung assoziiert mit einem Phasenwechsel (kinking associated with a phase change)
- Verformung assoziiert mit Zwillingsbildung (kinking associated with twinning)
Starkley schlug vor, dass bei der Kristallographie eines Minerals die dominante Kontrolle eher die Verformungs-Geometrie ist, anders, als allgemein angenommen, externe Bedingungen. Das trifft besonders dann zu, wenn Verformungen unter natürlichen Bedingungen stattgefunden haben.
Knick- und Chevronfalten
(Kink, Kinking, kink bands oder king bending sind ins Deutsche mit Knick, Knickung, Knickband oder Knickbiegung übersetzt). Knick- und Chevronfalten sind Begriffe der Strukturgeologie, welche hier verwendet werden, da es bei Kristallen (fast) identische Faltungen gibt. Es sind Falten mit geraden Schenkeln und eng begrenzten Scheiteln; sind sie symmetrisch, spricht man von Chevron (Winkel); sind sie asymmetrisch, dann bezeichnet man sie als Knickfalten (kink folds).
Knickfalten sind Falten, welche als Paar auftreten und einen kurzen und einen langen Schenkel haben (siehe nebenstehend schematische Zeichnung). Das Knickband (kink band) nennt man den kurzen Schenkel zwischen den beiden Achsenebenen, welche auch als Knickbandgrenzen (kink band boundaries) bezeichnet werden.
Es gibt unterschiedliche Bildungsmodelle, welche alle eine Scherkomponente entlang der Kristallachse haben. Knickbänder entstehen nicht entlang Flächen mit hohem Scherstress. Chevronfalten entstehen, wenn sich zwei konjugierte Knickfalten überschneiden, wobei 5o% Verkürzung notwendig ist, um einen undeformierten Kristall in einen deformierten zu überführen, welcher vollständig mit Knickfalten ausgefüllt ist. (experimentell gut erforscht - in der Natur zeigen Chevronfalten selten mehr als 25% Verkürzung.) (Twiss,R.J., Moores,E.M., 2007)
Knickbänder bezeichnen auch eine heterogene Versetzungsverteilung, bzw. Gebiete, wo bevorzugt die Rekristallisation beginnt (s.u.).
Zu den charakteristische Mineralien mit Knickband-Verformung gehört Stibnit (s.u.)
Geophysikalische Ursachen der Verformung
DRUCK (Kompression)
- durch zunehmende Änderung der Auflast mit zunehmender Tiefe
- durch tektonische Spannungen (Stress)
- durch Hebung
DEHNUNG
- durch Abkühlung
- Ausdehnung durch Erosion des komprimierten Gesteins
- Dehnungsspannungen: gleichförmige horizontale Dehnung bewirkt unterschiedliche Spannungen
- Dehnungsbrüche durch Abkühlung
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KONTRAKTION
SCHERUNG ODER TORSION
- parallel zur Grundfläche, tangential zur Seitenfläche
- (Verdrehungen um die eigene Längsachse, bzw. Rotationsdrehungen sind bei Kristallen nicht möglich).
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Verformung und Bruch: Im Großen das Gestein - im Kleinen der Kristall
Steht ein Gestein unter Spannung, wird es anfangs elastisch verformt. In der oberen Kruste der Erde, welche bereits von der heißen Asthenosphäre entfernt ist, gibt es relativ kühle Gesteine. Hier herrschen geringere Drücke und niedrigere Temperaturen als in der Unterkruste; in diesem Bereich findet eine elastische und eine spröde Verformung statt, wobei der Gesteinskörper seine Form verändert, nach der Beanspruchung jedoch in seine Ausgangsform zurückkehrt. Nach der Beanspruchung ist keine Verformung sichtbar. Bei der elastischen Verformung wird die Fließgrenze nicht erreicht, die Deformationsenergie jedoch im Gestein gespeichert (konservative Kraft; ähnlich einer gespannten Feder). Wenn irgendwann die Festigkeit des Gesteins überschritten wird, bricht es.
Bei der spröden Verformung wird zu einem gewissen Zeitpunkt die Fließgrenze erreicht und es kommt zu einem Bruch. Nach Beendigung der Beanspruchung bleiben Deformationen.
Die Drücke und Temperaturen in der Unterkruste sind im Allgemeinen höher. Wenn die Fließgrenze des Gesteins erreicht wird, beginnt es sich plastisch zu verformen, bzw. zu fließen. Es kann dann zum Bruch kommen, muss aber nicht.
Deformation durch Risse und Brüche und anschließender Ausheilung (Rekristallisation, Regeneration)
Ursachen von Deformationen in Kristallen sind normalerweise mechanische, sehr langsam ablaufende tektonische Bewegungen, wobei es zu Rissen oder Brüchen kommen kann (aber nicht muss). Diese Riss-Bruchstellen verheilen, indem sich die Bruchflächen zuerst mit schmalen Flächen bedecken, welche sukzessive durch breitere ersetzt wurden. (pseudo-sekundäre Einschlüsse). Selbst komplett zerbrochene Kristalle wachsen in dieser Weise wieder zusammen. Durch weiteres Wachstum entstehen dann bis zum Ende des Wachstums Kristalle mit meist millimeter- seltener bis zentimetergroßen geraden Flächen und Kanten, welche jedoch den Gesamteindruck eines gebogenen Kristalls hinterlassen. Bruch-Biegestellen, bzw. die Krümmungszonen, sind oft durch zahlreiche Flüssigkeitseinschlüsse getrübt.
Beschreibung einiger deformierter Mineralien und typischer Vorkommen
Deformierte Kristalle in den südnorwegischen Granit-Pegmatiten
Es ist so gut wie sicher, dass das granitische Pegmatit-Magma, welches das Grundgebirge in Südnorwegen intrudierte, entlang schmaler Risse oder Kanäle in das Gestein gelangte. Da die in einer späteren Phase gebildeten Pegmatit-Mineralien Mikroklin und Quarz gewöhnlich keine Anzeichen von Druck zeigen, wird angenommen, dass die Deformation der anliegenden Gesteine bereits vor der Kristallisation der beiden Minerale stattgefunden hat; bzw., während die größte Magmamenge noch flüssig war. Die zur Deformation führenden Kräfte wurden durch Stress verursacht, welcher der eigentlichen Intrusion folgte, jedoch vor der kompletten Kristallisation des Pegmatit-Magmas. Diese Behauptung gründet auf der Tatsache, dass viele Granitpegmatite sehr stark deformierte Kristalle der Erstkristallisationsphase enthalten, wie Beryll, Turmalin, Euxenit, Ferrocolumbit und Biotit (wobei die mechanische Deformation dieser Mineralien ein weiteres Indiz dafür ist, dass sie magmatischen Ursprungs sind), die Mineralien der prinzipiellen Kristallisationsphase, wie Feldspat, Quarz usw. jedoch nur selten Spuren von Verformungen zeigen.
Gebogene und gebrochene Turmaline aus Kalifornien und vom Hindukusch
Die schönen roten Turmaline der Himalaya Mine bei San Diego in Kalifornien sind sehr oft gebrochen und wieder verheilt; diese "Verletzung" durch die in Kalifornien enorm starken tektonischen Kräfte ist charakteristisch für das Vorkommen. Da sowohl die plastische Verformung bis zum Bruch als auch die Erholungsphase viel Zeit in Anspruch nahmen, sind dieses hier keine glatten Brüche, sondern Dehnbrüche über längere Zeiträume.
Von der Südseite des Hindukusch, aus Nuristan (mit den ehemaligen Provinzen Laghman und Kunar)und Badakhshan in Afghanistan sowie aus dem angrenzenden Karakorum-Gebirge in den Nordprovinzen von Pakistan stammen stark deformierte Turmaline und gebogene Berylle. Sowohl der Hindukusch und das Karakorum-Gebirge gehören zu den tektonisch am meisten sich verändernden Gebieten der Welt.
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Deformierte Quarze
Ein großer Teil der Quarze findet sich in Klüften. Im Zusammenhang mit tektonischen Bewegungen wurden die Kluftwände aufgewölbt, wobei die Quarzkristalle mechanisch beansprucht und deformiert wurden. Diese Deformation stellt sich als Biegung des Kristalls dar, wobei die Krümmungszonen, d.h., wo die stärkste Beanspruchung stattfand, meist milchigweiß getrübt sind. Durch die Deformation von Quarzen wird auch die Zwillingsbildung nach dem Dauphinéer Gesetz verursacht.
Während der Ouachita-Orogenese (der Gebirgsbildungsepisode) im heutigen Süden der USA wurden viele der mit Quarzkristallen gefüllten Hohlräume durch Scherkräfte verzerrt (vergleichbar Zerrklüfte) oder gänzlich zertrümmert. Hierbei bildeten sich komplexe Gangstrukturen im Gestein. Unzählige Quarzkristalle wurden bei diesen tektonischen Vorgängen gebrochen, verheilten jedoch in der Folge Quarzkristalle, welche sich in der Spätphase der Orogenese aus heißen Lösungen Quarzkristalle in Rissen von Schiefer, Sandsteine und anderen Gesteinen bildeten, zeigen im Gegensatz zu den Quarzen der o.a. aktiven Orogenese keine Deformationen.
Gebogene Quarze sind auch aus den Alpen bekannt. Die bekanntesten Vorkommen liegen in Graubünden in der Schweiz (Cavradi/Val Curnera/Tavetsch, Piz Beverin/Schons, Crapteig/Hinterrhein sowie an der Südseite des Lukmanier im Tessin).
Auch in der Smaragdgrube Chivor in den tektonisch hochaktiven Anden Kolumbiens wurden bizarr gebogene Quarzkristalle geborgen, deren Bildung durch tektonische Bewegung erfolgte.
Knickfalten bei Stibnit
Stibnit tritt nicht selten in Falten in Form gebogener - gewölbter oder wellig geknickter Kristalle (Knickbänderung / Knickband; engl. Kink bending / kink band) auf. Als Ursache dieser Biegungen wird u.a. Zwillingsbildung angenommen, wobei eine Zwillingsfläche den Kristall in eine Ebene und die andere Fläche ihn in eine andere Richtung biegt. Ein anderes Bildungsmodell der Knickbänder sind ortsfeste Scherzonen, durch welche der Kristall Knick- und/oder Chevronfalten erhält (kink folds und chevrons). Es sind auch rechtwinklig abgeknickte und komplette Ringe bekannt.
Dieser komplexe Deformationsprozess bzw. die plastische Verformung kann sich mehrfach über die gesamte Länge eines Kristalls wiederholen, wobei der Kristall sowohl starke Anisotropie, Doppelreflektion und Reflexionspleochroismus entlang der Deformationszwillinge zeigt. Die Zwillinge können am unterschiedlichen Reflektionsvermögen unterschieden werden. Es sind auch rechtwinklig abgeknickte und komplette Ringe bekannt.
Vom weltberühmtesten Stibnit-Vorkommen, der Lagerstätte Ichinokawa auf Shikoku in Japan, wurden über 160 Kristallformen beschrieben; darunter auch verzwillingte, deformierte, gebogene und wellig geknickte Kristalle. Einige Kristalle sind rechtwinklig geknickt (Kinks), einige zeigen Winkel (Chevrons); manche bilden komplette Ringe.
Baryt
Aus der Grube Teufelsgrund im Münstertal (Scharzwald) stammen gebogene, tafelige Barytkristalle bis 7 cm (gekrümmte Platten). (Sammlg. G. Markl).
Beryll
Ähnlich wie Turmalin ist Beryll eines der typischen Pegmatitmineralien, welches sich in Form deformierter Kristalle in vielen weltweiten Vorkommen findet. Die bekanntesten gebogenen Kristalle wurden in Pakistan (Aquamarine), Portugal, Spanien, Kolumbien (Smaragd) und Norwegen gefunden. Nachstehend ein 1,4 m langer gebogener Kristall vom Steinbruch Landsverk I bei Evje in Norwegen.
Bronzit
In Zentral-Australien wurden intensiv gebogene und geknickte (kinking) Bronzit-Kristalle in einem Gabbro gefunden. Diese Kristalle sind durch starke Dehnung deformiert worden.
Calcit
Calcit-Kristalle können durch Scherspannungen gebogen sein, wobei die Versetzungen gewöhnlich auf {10-11} auftreten. Versetzungen auf {02-21} sind eher selten. Auch Versetzungen auf {0001} parallel zu einer Achse sind bekannt. Zwillinge entstehen während oder synchron mit der Biegung.
Verbiegungen, Knicke und daraus resultierende Wachstumsänderungen bei Speleothemen (Excentriques, Helictite) sind auch Deformationen, deren Ursachen jedoch bisher ontogenetisch unzureichend geklärt sind.
Hämatit
Deformierte Kristall sind bei den bekannten Hämatit-Ausbildungen eher ungewöhnlich. Bei dem nebenstehend abgebildeten Kristall könnte es sich eher um eine filiforme Form des Hämatit handeln; auch ein Aggregate aus unzähligen winzigsten Hämatitkristallen ist nicht auszuschließen.
Keckit
Orangegelbe bis kastanienbraune, manchmal tafelige oder gestreckte, auch gebogene Kristalle in vielen Paragenesen. Typisch sind rundliche Phantome in den selten über 1 mm großen Kristallen.
Krokoit
Als Seltenheit deformierte Kristalle aus Tasmanien, Australien.
Kyanit
Unter tausenden langgestreckter Kristalle aus den Quarz-Kaolin-Biotit-Pegmatiten des Gebietes Barra des Salinas in Brasilien kommen bisweilen langgestreckt konkave und / oder gefaltete flache bis rechtwinklige Kristalle in Form von Knickbändern, als Chevrons und - oft an der Kristallspitze - abgeknickt vor.
Malachit
Deformationen als Folge von verheilten Brüchen treten selten bei Pseudomorphosen von Malachit nach Azurit auf.
Millerit
Deformationen als Folge von verheilten Brüchen sind gefaltete und tw. rechtwinklig abgeknickte Kristalle.
Molybdänit
Nicht selten sind aufgewölbte hexagonal-plattige und / oder verdrehte Molybdänit-Kristalle aus den Graniten von Telemarken in Südnorwegen und aus der Climax Mine in Colorado.
Montroydit
Manche kalifornischen Montroydit-Kristalle sind oft so bizarr verbogen, dass sie einem aufgebäumten Wurm ähneln. In einigen Fällen sind die Kristalle so stark gebogen, dass sie eine U-Form annehmen. Die Kristalle sind gestreift, ungleichmäßig und zeigen keine Endungen. Montroydit war eines der ersten Mineralien, an welchen Translationen beschrieben wurden (Mügge, O., 1898).
Natrolith
Tektonisch gebogene Natrolith-Kristalle bis mehrere cm Größe sind u.a. vom Chibiny-Massiv auf der Halbinsel Kola bekannt.
Pseudobrookit
Mikroskopisch kleine, leistenförmig gebogene Brooki-Kristalle vom Emmelberg in der Eifel. (Sammlg.: André Prost, Abb.: Lapis :31,4,10)
Pyrrhotin
Deformationen aufgrund tektonischer Beanspruchung sind eher selten und verformte Kristalle nur wenig bekannt.
Rutil
Die meisten Deformationen entstehen unter Stress während des Prozesses der Zwillingsbildung. Die bekannten knieförmigen Kristalle sind Verwachsungszwillinge- und Drillinge mit einem Winkel von etwa 120o und keine Deformationen im Sinne von Gitterfehlern oder tektonischer Beanspruchung (duktiler Deformation).
Vivianit
Nicht wenige Vivianit-Kristalle werden während des Kristallwachstums gebogen, wobei diese Biegungen charakteristisch meist an den jüngeren Endungen des Kristalls erkennbar sind. Typisch für diese gebogenen Kristalle ist, dass dort, wo die Biegung beginnt, oft ein Farbwechsel von dunkelgrün zu dunkelblau stattfindet, bzw., dass der gebogene Teil eines Kristalls dunkelblau ist.
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Literatur
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Quellenangabe
Einordnung